„Ich bin der Gutsbesitzer Puntila aus Lammi und ein ehrlicher Mensch, ich hab 90 Kühe. Mit mir kannst du ruhig trinken.“ – Der finnische Gutsbesitzer Herr Puntila feiert gern und lässt keine Gelegenheit aus, sich dem Alkohol hinzugeben. Er leidet an sich selbst. Er ist einsam, mächtig und reich. Kaum ist er aber betrunken wird er gesellig und empathisch – ja gar menschlich: Er verspricht jedem, der ihm über den Weg läuft, einen guten Job und macht drei verschiedenen Frauen einen Heiratsantrag. Doch mindestens einmal im Quartal überkommt es ihn: Er erwacht und ist „sternhagelnüchtern“!
Puntila bedauert diese „Anfälle“, doch er kann sie nicht kontrollieren. Wehe, es stellt sich die Nüchternheit ein – sie beginnt meistens mit einem Kaffee oder einem Saunabesuch – dann offenbart er eine ganz andere Seite. Ein autoritärer Herrenmensch zeigt sein Gesicht, dem kein Geschäft zuwider ist, auch das Verschachern seiner Tochter an einen Advokaten nicht. Sein Chauffeur Matti, dem er im klaren Zustand keinerlei Rechte zuspricht, wird im Rausch zu seinem Beichtvater und engem Verbündeten. Matti jedoch widersteht allen Verbrüderungsversuchen seines Herrn und emanzipiert sich von ihm. Er stellt sich hinter die Arbeiter und nimmt Partei für Puntilas Tochter Eva. Im Suff verspricht schließlich Puntila seine Tochter Matti. Doch ist die Gutsherrentochter die Richtige für einen Knecht? Matti stellt Eva auf eine ungewöhnliche Probe. Und gewiss bewahren seinen Herren die Attacken der Abstinenz davor, drei Hochzeiten zu feiern und drei Frauen aushalten zu müssen oder sein Gut zu verhökern; doch sie sorgen auch dafür, dass er sich auf Kosten seiner Mitmenschen bereichert und einsam bleibt.
Brecht schreibt sein „Volksstück“ 1940 im finnischen Exil, abgeschnitten von der restlichen Welt. Seine Gastgeberin Hella Wuolijoki erzählte oft an langen, gemeinsamen Abenden beeindruckende Geschichten. So ist das Volksstück, eine am Original bleibende Überarbeitung des Entwurfes seiner Gastgeberin, den Brecht und Wuolijoki für einen Dramatikwettbewerb verfasst hatten. Es ist ein eher ungewöhnliches Stück für Brecht, weil viel von der ursprünglichen Autorin darin verblieben ist; die brechtsche Moral wirkt versteckter und eine boulevardeske Komödie kommt zum Vorschein. Man schaut dem Protagonisten beim Besäufnis zu und wie dabei Missverständnisse entstehen, die immer wieder mühevoll entwirrt werden müssen. Puntilas alkoholisierte Versprechungen treiben das Spiel um Macht und Menschlichkeit im gewinnorientierten und eher unsozialen System des Kapitalismus auf die Spitze. Immer wieder verfällt er dem eigenen Anspruch, ergiebig zu wirtschaften, um stetig zu erkennen, dass sein Handeln nicht moralisch einwandfrei ist. Es stellt sich die Frage: Ist ein moralisches Handeln überhaupt möglich, ohne dabei selbst zu Grunde zu gehen?
Andreas Kriegenburg, international als Ausnahmeregisseur bekannt, interpretierte das erste Mal auf der Meininger Bühne den shakespeareschen „Hamlet“. Nun kehrt er wieder in die Theaterstadt zurück, diesmal mit einer Bearbeitung des Brechtstückes „Herr Puntila und sein Knecht Matti“. Er nähert sich ihm im Stile der „Commedia dell`arte“ und in Erinnerung an den berühmten Komiker Charlie Chaplin, der im Film „Lichter der Großstadt“ einen armen „Tramp“ spielte. Dieser „Tramp“ begegnet einem betrunkenen Millionär, der sich mit ihm anfreundet, ihn aber im nüchternen Zustand wieder fallen lässt. Allerdings kann man nicht mit Sicherheit sagen, dass Brecht sich auf Chaplin bezogen hat. Den Kostümen von Andrea Schraad zumindest kann man die Ähnlichkeit der „Hosenmode“ nicht abstreiten.
Katja Stoppa, Schauspieldramaturgin
„Herr Puntila und sein Knecht Matti“
Volksstück von Bertolt Brecht
Regie, Bühne: Andreas Kriegenburg • Kostüme: Andrea Schraad • Kostümassistenz: Janin Lang • Dramaturgie: Katja Stoppa • mit: Noemi Clerc, Mia Antonia Dressler, Pauline Gloger, Anja Lenßen; Gunnar Blume, Vivian Frey, Florian Graf, Paul Maximilian Schulze, Erik Studte • Statisterie des Staatstheaters Meiningen
Premiere: FR, 17.01., 19.30 Uhr
weitere Termine: 25.01., 22.02., 26.03., 06.04., 13.04., 27.04., 05.06., 14.06.2025 – Großes Haus
Matinee: SO, 05.01.2025, 11.15 Uhr – Foyer Großes Haus, Eintritt frei