"Wie eine Vorahnung dessen, was kommen sollte, nahm die Musik den Charakter einer rastlosen Verfolgungsjagd durch das Leben und den eines langsamen und traurigen Überblicks über das Leben an der Schwelle zum Tod an.“
So beschreibt Alfred Schnittke später das Programm seines Bratschenkonzerts. Komponiert im Jahr 1985, ereilte ihn nur wenige Wochen nach der Fertigstellung ein erster von fünf Schlaganfällen. Schnittke, 1934 in Engels (damals Hauptstadt der Wolgadeutschen) als Sohn eines jüdischen Juristen geboren, gehörte in der Sowjetunion zu den unangepassten Künstlern. Im Westen schnell populär, galt er in seiner Heimat als unbequem. Wie viele Komponisten seiner Zeit suchte auch er neue Wege musikalischen Ausdrucks im 20. Jahrhundert. Nach verschiedenen Experimenten entschied er sich für eine Form der Polystilistik, die seine Kompositionsweise prägten. Dazu gehören parodistisches Umspringen mit Nähe und Ferne, das Ausloten der Nachbarschaft von Trivialität und Tragik, überhaupt das Vereinen von Gegensätzen in einer aufgehobenen Zeit. Sein Bratschenkonzert umschreibt einen Bogen von elegischem Erwachen zu expressivem Aufbegehren bis zum introvertierten Rückzug und tragischem Zusammenbruch. Als Solistin des Konzertes können Sie die junge, aufstrebende Emma Wernig erleben, die unter andremn bei der bekannten deutschen Bratschistin Tabea Zimmermann studierte und bereits mit vielen Preisen ausgezeichnet wurde.
Umrahmt wird das Bratschenkonzert von zwei weiteren Werken russischer (bzw. sowjetischer) Komponisten: Im zweiten Teil erklingt Dmitri Schostakowitschs 1. Sinfonie. Schostakowitsch, dessen 50. Todestag in diesem Jahr von der Meininger Hofkapelle mit insgesamt vier Werken gedacht wird, zeigt bereits in seiner ersten Sinfonie, komponiert mit 19 Jahren, eine wegweisende Meisterschaft. Sämtliche Spezifika, die seine folgenden 14 Sinfonien ausmachen, sind hier angelegt: Ironie, gesteigert zu sarkastischer Groteske neben tiefer Ernsthaftigkeit, die in späteren Werken zu erschütternder Resignation umschlägt. 1925 als Abschlussarbeit am Petersburger Konservatorium geschrieben, bescherte die Uraufführung dem jungen avantgardistischen Komponisten einen sensationellen Erfolg und öffnete das Tor zu einer vielversprechenden Karriere, die jedoch mehr als steinig werden sollte.
Als Eingangswerk erklingt Alexander Skrjabins „Rêverie“ (Träumerei), sein erstes reines Orchesterwerk. Neben Arnold Schönberg ist er der bedeutendste Neuerer zeitgenössischer Musik. Auch Skrjabin suchte nach neuen Kompositionstechniken. Anders als Schönberg mit seiner intellektuell-mathematischen Zwölftontechnik, legt Skrjabin seinen Fokus auf die rein sinnliche Ebene. Töne sind für ihn Farben. In „Rêverie“ malt er noch mit Pastellfarben, die im Laufe seines Lebens zu schreienden Signaltönen anwachsen.
Geleitet wird das Konzert vom sizilianischen Dirigenten und Kasseler Chefdirigenten Francesco Angelico.
Claudia Forner
4. Sinfoniekonzert
Dirigat: Franceso Angelico
Solistin: Emma Wernig (Viola)
Termin: MI, 26.02.2025, 19.30 Uhr – Großes Haus
Einführung: 18.45 Uhr – Foyer