Schauspiel von Rebekka Kricheldorf
nach F. Scott Fitzgerald
Long Island, 1922. Eine Welt im Ausnahmezustand: Der Erste Weltkrieg ist gerade erst wenige Jahre vorbei, die Wirtschaft befindet sich im Aufschwung, das Sehnen nach schnellem Erfolg und gesellschaftlichem Aufstieg prägen den Puls der Zeit. Nirgendwo sonst als auf den wilden Partys von Jay Gatsby ist dieses Lebensgefühl deutlicher zu spüren. In seinem herrschaftlichen Anwesen tummeln sich die Reichen, die Schönen, die Glücklichen und die Glücksuchenden. In diese Welt hinein gerät Nick Carraway, der neben dem Anwesen Gatsbys ein heruntergekommenes Haus bezieht. Die beiden werden Freunde – doch wie alles in Gatsbys Leben geschieht auch dies nicht ohne Grund: Nick bietet dem undurchschaubaren Millionär die langersehnte Möglichkeit, seiner Jugendliebe Daisy, Nicks Cousine, näherzukommen. Ein gefährliches Vorhaben, das in einer Tragödie endet.
„Der große Gatsby“ (1925) zeichnet ein flirrendes Bild der „Roaring Twenties“ und ist zugleich ein rauschhafter Abgesang auf den Amerikanischen Traum. Die Frage nach dem Wert des Menschen in einer vom Kapitalismus durchdrungenen Welt stellt sich heute genauso wie damals und der Traum von sozialer Gleichheit ist nach wie vor unerreicht. In der Adaption der mehrfach ausgezeichneten Autorin Rebekka Kricheldorf entfaltet sich Fitzgeralds Great American Novel mit aller Kraft und liest sich gleichsam als bissiger Kommentar auf unsere krisengeschüttelte Gegenwart.
Hinweis: Bei dieser Produktion kommen Stroboskop-Effekte zum Einsatz. Bei bestimmten Blitzfrequenzen können unter Umständen epileptische Anfälle ausgelöst werden. Der Effekt findet auf der Szenenfläche statt und das Publikum befindet sich dabei nicht im ausgeleuchteten Bereich.
Regie: Dominique Schnizer
Bühne, Kostüme: Christin Treunert
Komposition, Sounddesign: Augustin Zimmer
Dramaturgie: Deborah Ziegler
Jay Gatsby: Leonard Pfeiffer
Nick Caraway: Jan Wenglarz
Daisy Buchanan: Mia Antonia Dressler
Tom Buchanan: Matthis Heinrich
Myrtle Wilson: Ulrike Knobloch
George Wilson: Florian Graf
Jordan Baker: Noemi Clerc
Mister Gatz: David Gerlach
Mythenumrankte Partys feiert man in „Der große Gatsby“. Und auch Regisseur Dominique Schnizer stellt den Glamour zur Schau in seiner Inszenierung der Fassung von Rebekka Kricheldorf. Ein feines Gewand für die Verkommenheit und respektlosen Lebensweisen. Ein Fest fürs Auge allemal.
Gegen die innere Leere anfeiern – das scheint an diesem Abend das übergeordnete Motto zu sein. Regisseur Dominique Schnizer illustriert das mit Momenten, die trotz äußerlich guter Laune bleierne Schwere hinterlassen. Das Partyvolk sitzt dann da, wie aus dem Ei gepellt, die Männer mit tadellos faltenfreien Sakkos, die Damen mit sorgfältig in Locken gelegten Haaren und perfekt aufgetragenen Lippenstift: und alle schweigen sich an. Bis aus Daisy (...) die Worte herausbrechen: „Was sollen wir heute bloß tun? Und morgen? Und die nächsten dreißig Jahre?“.
Ein politischer Moment des Abends, der auch theatral eine besondere Qualität mit sich bringt, entsteht derweil durch die Figur Georg Wilson. Ein ärmlicher Tankstellenwart, der Opfer der rücksichtslosen Lebensweise und Arroganz der Reichen wird. (...) Wie Florian Graf die Ohnmacht des verzweifelten Tankstellenwart mit zittriger Hand am Abzug spielt, ist ergreifend.
Jan Wenglarz gelingt als Nick Carraway ein sympathischer Antiheld mit einer ganzen Bandbreite an verschiedenen Gesichtern, die immer wieder aufs Neue ausdrücken: Hilfe, ich bin hier fehl am Platz! Mia Antonia Dressler verleiht ihrer Daisy mit affektierten Kunstpausen eine Melodramatik, die die Intrigenhaftigkeit der Figur glaubhaft machen. In Kombination mit Matthis Heinrich als unangenehm selbstgerechten, immer einen wenig zu laut sprechenden und lachenden Ehemann, ergibt sich ein toxisches Pärchen par excellence.
Insgesamt verzichtet die Meininger Inszenierung von „Der große Gatsby“ auf eine plakative Aktualisierung des Stoffs. Und überlässt derweil dem Zuschauer, wie er oder sie die verschiedenen Themen – Dekadenz, Lügen, Macht und Reichtum – auf das Heute bezieht. Eine gute Entscheidung.
Nachtkritik, Marlene Drexler, 17.11.2024
Mia Antonia Dressler spielt die Daisy (…) selbstbewusst, betont manieriert als Inbegriff einer Upperclass-Lady, die letztlich nur um sich selbst kreist.
In Erinnerung bleibt gewiss Jan Wenglarz, der mit gerunzelter Stirn und großen Kinderaugen als Chronist Nick Carraway verwundert auf die Handlung blickt und doch, wie ein junger Mr. Bean, in all seinem Unverständnis als Einziger wirklich zu verstehen scheint.
Was auch bleibt, sind der Glanz und die Kraft der Illusion (...). Zwischen den altersblinden Spiegelwänden des herausragenden Bühnenbildes (Christin Treunert, ebenso Kostüme) wandern die Abbilder der Schauspieler ins Nirgendwo wie verbleichende Erinnerungen. Das warme Licht der gewaltigen Kronleuchter simuliert tausend Kerzen und die Spiegelkugeln, die neben ihnen baumeln, treiben zusammen mit den glitzernden Paillettenkleider der Damen einen Funkelregen über schwarze Spitze und weiße Seide, bis in die hintersten Zuschauerreihen. Glanz für uns alle.
Thüringer Allgemeine, Alexandra Abel, 19.11.2024
Und also rauscht das Fest auf der Meininger Kammerspielbühne: Sekt und harte Sachen, glitzernde Kostüme und schwarze Fliegen, Kronleuchter und Musik vom Piano. Hier, in dieser gepflegten Langeweile der saturierten Dekadenz, fühlen sie sich offenkundig wohl, die Wilsons und Buchanans. Auch Nick Carraway, der das Publikum ein wenig an die Hand nimmt und in diese merkwürdige Geschichte zieht. Und natürlich der legendäre Gatsby, für den Regisseur Dominique Schnizer gleich zu Beginn den Ton setzt. Und ihn, noch bevor die große Party steigt, für einen kurzen Moment einsam in seinem großen Salon zeigt, in dem der Zahn der Zeit die Spiegel erblinden und verschmieren ließ. Und in dem die von der Decke fahrenden Kronenleuchter nicht verbergen können, das etwas nicht stimmt mit diesem offenkundig abgefuckten Reichtum.
Da ist (…) noch die schöne, blonde Daisy (...): Ein hocherotisches Spiel mit zahllosen Augen- Blicken und engelsgleichen Stimmen-Säuseln. Sie windet sich um die Männer, sie räckelt sich auf dem Tisch. Fast scheint sie ihm zu erliegen, dem großen, geheimnisvollen Jay, der ihr schon längst zu Füßen kriecht. Bis aus ihm die Wut bricht und eine Lüge ihn zum Verlierer macht. Da wird das ach so naive Dummchen zur eiskalten Kröte. Das spielt Mia Antonia Dressler mit unglaublicher Leichtigkeit mal so dahin.
Freies Wort, Peter Lauterbach, 19.11.2024
Der Regisseur konzentriert sich in dieser Atmosphäre aus Verlorenheit, Gefühlskälte, Begierde und Langeweile auf die Verfassung der Hauptpersonen und lässt das Äußere als Sammlung von Revueeinlagen einspielen. Das führt zu spannungsreichen Auftritten der Protagonisten. Mia Antonia Dressler mimt Daisys Gemütschwankungen als spiegelten sich in ihnen die Launen Marilyn Monroes. Matthis Heinrich verkörpert als Tom glaubwürdig dessen mühsam beherrschte Wut.
Leonard Pfeiffer betont Gatsbys Fassade der Unnahbarkeit, hinter der sich eine bodenlose kindliche Hilflosigkeit verbirgt.
Ulrike Knobloch und Florian Graf spielen mit proletarischem Habitus das Tankwartsehepaar, an dem der amerikanische Traum vorbeigezogen ist und Noemi Clerc gibt als Golf-Ass Jordan Baker eine unterkühlte Lebedame, die sich souverän durchs Milieu bewegt. Jan Wenglarz ist als Erzähler Nick die einzige Person, an deren Seite man am Ende fluchtartig die dekadente Gesellschaft verlassen wollte.
MainPost, Siggi Seuß, 19.11.2024