Staatstheater Meiningen
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Ende einer Verhandlung

Gerichtsdrama von Anna Gmeyner
Uraufführung


Ein Geschworenenzimmer in einem Gericht, darin ein Tisch mit zwölf Stühlen, ein geradezu biblisches Bild. Zwölf Menschen unterschiedlichster Herkunft müssen im Namen des Volkes einstimmig über Leben und Tod eines Angeklagten entscheiden. Verhandelt wird ein spektakulärer Mordfall: Ein Mann hat aus Eifersucht seine Frau von einer Klippe gestürzt und laut einem Zeugen die Tat mit dem lakonischen Satz „Ladies first“ kommentiert. Die Indizien sprechen eine eindeutige Sprache, doch dann gibt es einen Zwischenfall, ein Geschworener bricht während einer dramatischen Zeugenaussage zusammen. Er wird später für „nicht schuldig“ plädieren und eine ganz andere Version der Geschehnisse erzählen. Doch was ist wirklich geschehen? Wem kann man glauben? Ist Wahrheit vielleicht nichts anderes als die beste Version der Geschichte? Und warum gibt es kein Entrinnen aus den Rollenklischees und den immergleichen Mechanismen, die in den meisten Fällen Frauen zu Opfern von Beziehungstaten machen, bis heute?
Verboten, vertrieben und vergessen, das ist das Schicksal der österreichisch-jüdischen Autorin Anna Gmeyner (1902-1991), die in Berlin Dramaturgin bei Erwin Piscator war und deren Theaterstücke gerade wiederentdeckt werden. „Ende einer Verhandlung“ ist ein Fund aus dem Nachlass der Autorin. Ein Krimi, ein Gerichtsdrama, ein faszinierend genau beobachtetes Gesellschaftsstück und kommt 80 Jahre nach seiner Entstehung in Meiningen zur Uraufführung.


Hinweis: Bei dieser Produktion kommen Stroboskop-Effekte zum Einsatz. Bei bestimmten Blitzfrequenzen können unter Umständen epileptische Anfälle ausgelöst werden. Der Effekt findet auf der Szenenfläche statt und das Publikum befindet sich dabei nicht im ausgeleuchteten Bereich.

Regie: Frank Behnke

Bühne, Kostüme: Christian Rinke

Musik: Christopher Brandt

Dramaturgie: Deborah Ziegler

Besetzung

(01.12.2024, 18:00)

Mr. Smith: Jürgen Hartmann

Mr. Allister Scott: Matthis Heinrich

Miss Katherine Mead: Ulrike Knobloch

Mr. Edward William Sanders: Erik Studte

Mrs. Dorothy Thornton: Nicola Lembach

Mr. Adam Dunn: Rico Strempel

Mr. James Bradley: Paul Maximilian Schulze

Mr. Charles Johnson: Michael Schrodt

Miss Magdalena Cadell: Mia Antonia Dressler

Mr. Foster: Gunnar Blume

Mr. Heracles Cook: Jan Wenglarz

Mr. Kinsley: Florian Graf

Gerichtsdiener: David Gerlach

Trailer

Pressestimmen

Dass der Abend (…) nicht die geringste ironische Trägheit vermittelt, ist das große Verdienst der Inszenierung. Sie hat die Handlung schlüssig kondensiert und zu einem rasch erzählten Abend geformt.

Die räumliche Begrenzung macht Behnke sich mit dem effektvollen Geschworenenzimmer von Christian Rinke zum Vorteil, der damit, wie auch in den Kostümen, die Ästhetik des Film Noir zitiert. Für alles weitere kann Behnke auf ein spielfreudiges Ensemble vertrauen:

Vor dem dritten Akt, in dem Mr. Smith (Jürgen Hartmann) und sein Double Mr. Bradley (Leonard Pfeiffer) die berückendsten Momente des Abends spielen, bestimmen die lauten Charaktere das Geschehen: Miss Cadell, der Mia Antonia Dressler einen interessanten Glanz verleiht; ihr Pendant Alistair Scott, den Matthis Heinrich als so charmanten wie nervtötenden Zahnarzt anlegt; Charaktere wie die der bitteren Miss Mead, verkörpert von Ulrike Knobloch, oder den des übergriffigen Mr. Fosters (Gunnar Blume), die vor Augen führen, welche eigenen Traumata die Auseinandersetzung mit einem Verbrechen auslösen können.

Die größte Qualität der Regie besteht an diesem Abend darin, dass sie sich nicht bloß auf Gmeyners Figuren verlässt. Herren, die im Skript kaum zu differenzieren sind, werden hier mit durchdachter Personenführung lebendig. Bestes Beispiel dafür ist Florian Grafs Mr. Kingsley, der meist nur kritisch dreinblickende Gentleman, der durch sein energisches Auftreten Züge des Durchtriebenen unter der aalglatten Äußerlichkeit erahnen lässt. Adam Dunn hingegen wird von Rico Strempel als verträumter Idealist gezeigt, der in seinem Eifer unfähig ist, die Konsequenzen seines Handelns zu begreifen.

Was bei der Lektüre des Stücks kaum vorstellbar gewesen war, wird auf der Bühnen eindrucksvoll Realität: „Ende einer Verhandlung“ ist ein intelligent bedrückendes Psychogramm, das keinen Zweifel mehr an der Bedeutung seiner zu Unrecht vergessenen Verfasserin lässt.

Frankfurter Allgemeiner Zeitung, Robin Passon, 14.10.2024

 

Kein Happy-End (…). Dafür der Spiegel auf die Menschen mit ihren eigenen Absichten und Abgründen. Mit zwölf engagierten Schauspielenden an einem Abend, die pausenlos miteinander interagieren. Dass dieses Stück ausgerechnet eine Spielzeit eröffnete am Staatstheater Meiningen, ist sicherlich nicht selbstverständlich, vor allem: ein Signal.

Deutschlandfunk Kultur, Podcast Aus der jüischen Welt, Blanka Weber, 15.11.2024

 

Gmeyner setzte ein dichtes Netz von Symbolanalogien zur Literatur, zur Bibel und zum Film. Ihre Paar- und Geschlechter-Psychologie wirkt in der Inszenierung des Meininger Schauspieldirektors Frank Behnke knackfrisch.

Christian Rinke hat die Tischränder, Raumecken und sogar den Umriss eines liegenden Menschen am Boden mit Leuchtband beklebt. Das schafft silbrige, graue, anthrazitfarbene Raum- und Lichteffekte mit Bezügen zum Film Noir. 

Behnke und das Ensemble stürzen sich auf jedes Textdetail, schärfen die Konstellationen zwischen den Geschlechtern und den unterschiedlichen sozial-hierarchischen Milieus der Figuren. Mit ehrlichen Mitteln leisten sie und Dramaturgin Deborah ZieglerHilfe zum Erkennen der komplexen Gestalten. Das lange Schweigen des zu Beginn von einer Ohnmacht übermannten Smith hat nichts Mystisches. Jürgen Hartmann gibt der Figur ein trockenes Insistieren ohne melancholische Heldenattitüde.

In vormodernen Zeiten wäre die ihre moralische Korrektheit akzentuierende Hausangestellte zur belachten Figur verkommen, hier modelliert Nicola Lembach eine plausible Studie aus Selbst- und Standesbewusstsein. Ulrike Knobloch spielt Katherine Mead, aus deren Nüchternheit eine immer stärkere Empathie bricht. Mia Antonia Dressler balanciert als junge Frau subtil und ausgewogen zwischen erotischem Selbstbewusstsein, potenzieller Verführbarkeit und strategischem Vorteilsdenken. 

Das Ensemble (…) durchbricht mit einer satten Gesamtleistung Schablonen und Stereotypen. Eine Prise atmosphärischer Coolness schafft Abstand und zwingt zum genauen Beobachten.  So gibt es am Ende kein Gefühl der Ernüchterung wie oft bei Krimis, sondern nur bohrendes Unbehagen. Auch deshalb ist diese überfällige Uraufführung ein Theaterabend ohne Patina.

Die Deutsche Bühne, Roland H. Dippel, 28.09.2024

 

Es ist ein seltenes und nicht minder beein­druckendes Erlebnis, wie sich das dreizehnköp­fige Ensemble in diesem betongrauen Bühnen­raum die Bälle zuspielt, wie sich einzelne Ge­schworene immer wieder frei spielen, um ihre Version der Geschichte zu erzählen. Am einpräg­samsten, wenn Mister Dunn, gespielt von Rico Strempel, der Gruppe von seinem Traum erzählt und dabei alle fast in Trance redet. Plötzlich scheint sich eine sich selbsterfüllende Prophe­zeiung über die Gruppe zu legen.

Theater Heute, Anna Hoffmeister, Ausgabe November 2024

 

Gmeyner spielte hier, wie in anderen Stücken auch, mit Täter-Opfer-Perspektiven innerhalb ihrer Figuren. Und zumindest aus heutiger Sicht wagte sie einen zwar subtilen, aber doch deutlich femininen, wenn nicht gar feministischen Blick auf eine patriarchalische Welt, in der Männer „Ladies first“ sagen, Frauen aber das Letzte sind: Besitz und Schmuck, Verfügungsmasse und Freiwild. Da haut der ungehobelte, in seinem Zynismus aber auch unbestechliche Mr. Foster (Gunnar Blume) der hübschen Miss Cadell (Mia Antonia Dressler) auf den Hintern, erntet eine Ohrfeige und fragt allen Ernstes: „Was ist denn falsch an mir?“ Und der Jury-Vorsitzende Sanders (Erik Studte) vertraut unerschütterlich darauf, dass alles gut so ist, wie es ist.

Inszenieren heißt hier zunächst: Personal organisieren. Das gelingt Behnke, trotz radikaler Striche, insgesamt über zweieinhalb Stunden glänzend mit seinem Ensemble als Abbild einer Gesellschaft sowie als Star des Abends.

Thüringer Allgemeine, Michael Helbing, 30.09.2024

 

In der Hauptsache wird hier aber miteinander (bzw. aufeinander ein-) geredet, gerungen, auch mal aufeinander losgegangen. Hier verlieren sie alle mal die Fassung, geben mehr von ihrem eigenen Leben preis, als sie eigentlich wollten. Die Suche nach den Motiven und möglichen Erklärungen wird so zum Katalysator einer Selbstbefragung. Für das Ensemble ist das eine Steilvorlage für jeden Einzelnen, um zu zeigen, was er drauf hat.

Von den sieben neu engagierten Mitgliedern des Meininger Schauspielensembles konnten sich Florian Graf als Mr Kingsley, Mia Antonia Dressler als flotte Miss Magdalena Cadell, Erik Studte als Jurysprecher Sanders, Leonard Pfeiffer als James Bradley und Rico Strempel als zweifelnder Traumdeuter Adam Dunn schon mal vorstellen. Zusammen mit den Ensemblemitgliedern Matthis Heinrich (als smarter Allister Scott), Ulrike Knobloch (Miss Mead), Nicola Lembach (Dorothy Thornton), Michael Schrodt (Charles Johnson), Gunnar Blume (als zynischer Mr. Foster), Jan Wenglarz (Heracles Cook) und natürlich Jürgen Hartmann als prominenten Gast in der Quasi-Hauptrolle des Mr. Smith, der mit seinem unerwarteten Nein bei der Abstimmung dem Stück eine unvermutete Wendung gibt, liefern sie allesamt das Musterbeispiel für ein Ensemblespiel, bei dem jeder seine Profilierungsmöglichkeiten so nutzt, dass seine Figur nach einem Solo auch im Hintergrund erkennbar bleibt.

Mal abgesehen von den Fragen nach Schuld oder Mitschuld, dem Ausloten der Folgen einer offensiv gepflegten toxischen Männlichkeit und danach, wie sich die Gewichtung von Fakten im Lichte individueller Wahrnehmungen ändern kann, ist das Wechselspiel dieser Geschworenen pure Theaterfreude!

Freies Wort, Joachim Lange, 30.09.2024

 

Auf ein sich schnell drehendes Kaleidoskop der Charakterbilder setzt Regisseur Franz Behnke. Ihm gelingt so ein spannendes Psychodrama. Er zerlegt den Stoff in einen Schlagabtausch dynamischer Gruppenprozesse. Jeder gegen jeden und alle gegen einen. Nicht minder beruht der Drive des Stücks auf der Sprache, nicht nur auf deren expressiv verdichtetem Inhalt, sondern vor allem auf ihrem differenzierten Gebrauch, ihrer Melodie, ihrer Kraft. Geradezu perfekt gelingt es Jürgen Hartmann mit seiner Gestaltung der Figur des Mr. Smith, das herauszuarbeiten. Seine Sprachsouveränität beherrscht die Szenen. Ebenbürtig an seiner Seite Mia Antonia Dressler mit den Frauenfiguren Cadell/Mary – Opfer und provokante Akteurin.

Das experimentierfreudige Staatstheater Meiningen arbeitet mit seiner neuen Produktion – übrigens die erste Spielzeiteröffnung in Meiningen mit dem Stück einer Autorin – weiter an der überfälligen Kanonisierung Gmeyners und zeigt: Auch mit einem guten alten Stück kann man (weiterhin) aktuelle Probleme wirkungsvoll in Szene setzen. 

Nachtkritik, Harald Raab, 28.09.2024

 

Zwölf Charakterköpfe stehen sich gegenüber, die in ihren Rollen aufblühen können und sich gleichzeitig im Ensemblespiel zurücknehmen müssen: Der Mysteriöse („Salieri“ Jürgen Hartmann als Gast), der Übergriffige (Gunnar Blume), der Bescheidene mit einem Hang zum religiösen Mythentraum (Rico Strempel), der Extrovertierte (Matthis Heinrich), der Schüchterne (Leonard Pfeiffer), der Reservierte (Florian Graf), der Cholerische (Michael Schrodt), der Überkorrekte (Erik Studte), der Resignierte (Jan Wenglarz), die lebenserfahrene alte Dame (Nicola Lembach), die alleinstehende Frau mittleren Alters (Ulrike Knobloch), die selbstbewusste junge Schöne (als Gast Marlene Goksch für die erkrankte Mia Antonia Dressler), an der Begierde, Begehren und Neid der Anderen abzuperlen scheinen wie Tropfen an einem Regenmantel. Und schließlich noch der Gerichtsdiener (David Gerlach), der der Schicksalsgemeinschaft auf Zeit seine Ordnungsrufe entgegensetzt.

Diese fiebrige Atmosphäre in einem Landgericht in der englischen Provinz um 1936 breitet sich auch auf der Meininger Bühne aus, verstärkt durch musikalische Einsprengsel vonChristopher Brandt. Ausstatter Christian Rinke hat den Raum als schiefe Ebene konzipiert und mit weißen Linien begrenzt,um die hermetische Geschlossenheit des Geschworenenzimmers zu unterstreichen.

MainPost, Siggi Seuß, 21.10.2024