Volksstück von Bertolt Brecht
Der finnische Gutsbesitzer Puntila feiert gern und hat eine überbordende Fantasie. Im betrunkenen Zustand zeigt er auch sein menschliches Gesicht und man muss ihn einfach mögen: Egal ob er seine Zeit mit dem Personal in der Sauna verbringt oder nach einer feuchtfröhlichen Nacht sein Herz in wenigen Minuten gleich drei Frauen schenkt. Nüchtern ist er hingegen unerträglich, ein unberechenbarer Machtmensch, der seine Tochter und alle Angestellten ausbeutet, demütigt und beherrscht. Sein Chauffeur Matti ist mal Prügelknabe und mal Verbündeter, mal Beichtvater und mal gutes Gewissen, lässt sich aber von der Doppelgesichtigkeit Puntilas nicht beeindrucken und widersteht allen Verbrüderungsversuchen. Er stellt sich hinter die Arbeiter und nimmt Partei für Puntilas Tochter Eva, die ihr Vater im nüchternen Zustand mit einem Attaché verheiraten will. Im Rausch verwirft Puntila den feinen Bräutigam und verspricht seine Tochter schließlich Matti. Doch ist die Gutsherrentochter die Richtige für einen Knecht? Matti stellt Eva auf eine ungewöhnliche Probe.
Brechts einziges „Volksstück“, im finnischen Exil geschrieben, enthält die wahrscheinlich schönste Besäufnisszene der Dramenliteratur. Es ist ein sprachverspieltes, dialektisches und hochkomisches Stück über Macht und Menschlichkeit und das Dämonische des Kapitalismus. Befreien können sich die Figuren auch bei Brecht nicht aus den herrschenden Verhältnissen, soziale Gleichheit bleibt eine Utopie.
Regie, Bühne: Andreas Kriegenburg
Kostüme: Andrea Schraad
Assistentin Kostümbild: Janin Lang
Dramaturgie: Katja Stoppa
Puntila, Gutsbesitzer: Vivian Frey
Eva Puntila, seine Tochter: Pauline Gloger
Matti, sein Chauffeur: Paul Maximilian Schulze
Der Attaché/Der Ober: Gunnar Blume
Fina, das Stubenmädchen/Laina, die Köchin/Die Telefonistin/Richtertexte als Laina: Anja Lenßen
Das Apothekerfräulein: Mia Antonia Dressler
Das Kuhmädchen/Die Pröbstin: Noemi Clerc
Der Advokat/Der Kümmerliche: Erik Studte
Der Probst/Der Rothaarige: Florian Graf
Minister: Statisterie des Staatstheaters Meiningen
Brechts „Puntila“ in Meiningen ist ein großes Vergnügen. [...] Was haben wir gelacht! Sie nehmen in Meiningen den Prolog dieses (politischen) Volksstücks von Bertolt Brecht sehr ernst. Ein komisches Spiel und zentnerweise Spaß ließ dieser darin ankündigen. Und so kommt es.
Andreas Kriegenburg [macht] als Regisseur und Bühnenbilder das Theater selbst hier mit Liebe und Lust offensichtlich: als Thema und Metapher. Vor seinem in helles Holz gekleideten leeren Raum hängt eine allerdings ziemlich hohe Brecht-Gardine, die das Spiel an der Rampe sowie Zuschauer in Reihe eins absichtsvoll stört.
Vor diesem Vorhang etabliert Kriegenburg sein Ensemble als Versammlung tragikomischer Clowns in oft übergroßen Hosen oder Mänteln (Kostüme: Andrea Schraad). Und er bedient sich dabei ansatzweise nicht nur der auf stereotype Typen angelegten Spielweise der Commedia dell’arte. Er gaukelt uns zudem munter ein zum Brüllen komisches Stegreiftheater mit wie aus dem Moment entstandenen Sätzen und (Theater-)Kommentaren vor.
Vivian Freys Puntila ist darin der größte aller Clowns und lässt im nüchternen Zustand angemessen allgemeine Ernüchterung eintreten. Paul Maximilian Schulzes hellsichtig das Düstere ahnender Chauffeur Matti liefert den unbestechlichen Konterpart. Pauline Gloger kleidet Puntilas Tochter Eva gleichsam in das Kostüm einer schrillen Salondame mit Proletenattitüde. Und Anja Lenßens mit allen Wassern gewaschene Köchin Laina wird mit Schnodderschnauze und abgeklärter Grundhaltung sehr überzeugend zur heimlichen Zeremonienmeisterin des Abends aufgemotzt.
Thüringer Allgemeine, Michael Helbing, 17.02.2025
Die Betrunkenheit nach Brechts Vorgabe „poetisch und zart, mit so viel Variation wie möglich“ zu spielen gelingt Frey mit beeindruckendem Durchhaltevermögen. Dauernüchtern, doch nicht weniger variabel steht ihm Paul Maximilian Schulze gegenüber, der hier ein akrobatisches Körpergefühl beweist, das jede Nachbesetzung fast unvorstellbar macht. Mit dem gekrümmten Rücken und dem schiefen Lachen des urtypischen Knechts wirbelt er Eva (rotzfreche Artistin: Pauline Gloger) durch den Holzkasten, lässt sich drangsalieren und erspielt doch ein ums andere Mal die kluge Ernsthaftigkeit, die diesen Knecht ausmacht. Diese sozialen Zwischentöne sind es auch, auf die sich Kriegenburg fokussiert. Die brechtsche Systemkritik bleibt eher im Hintergrund. Ins Zentrum rückt er das Paar Eva und Matti.
Puntila zur Seite wird die gealterte Köchin Laina gestellt, die als gute Seele des Hofs mit kölscher Hemdsärmeligkeit die Strippen zieht. Anja Lenßen spielt sich als Bindeglied dieses sozialen Gefüges auf und bewahrt ihr Umfeld mit ausdauernder Gutmütigkeit vor der endgültigen Verbitterung.
In Schlüsselmomenten wie Evas Examen weiß Kriegenburg aber wieder, worauf es ankommt. Im Detail mag sich seine Regie verzetteln, sich womöglich dem Eifer der Probebühne allzu sehr hingeben, doch mit gutem Gespür für die Gesamtdramaturgie verliert er die Handlungsfäden nie aus den Augen. Als der Abend […] an seinem Ende angelangt ist und sich für Matti und Laina die zertrümmerte Landidylle plötzlich weitet, schnürt Kriegenburg seinem Publikum die Kehle zu. Ohne bitter zu werden, stellt er plötzlich all den Witz infrage und ganz ernst die Frage: „Was tun?“
In dieser Uneindeutigkeit liegt der Reiz dieses Stücks […]. Zwischen der Abgründigkeit Becketts und der Zärtlichkeit Tschechows balanciert Kriegenburg hier ein phantastisches Ensemble auf dem Drahtseil der traurigen Clownerie
Frankfurter Allgemeine Zeitung, Robin Passon, 23.01.2025
Was für eine Komödie! Jubel in Meiningen nach einer sensationellen Bertolt-Brecht-Premiere: Andreas Kriegenburg bringt „Herr Puntila und sein Knecht Matti“ als Vollblut-Theater im Schleudergang auf die Bühne.
Man merkt, dass diese Proben ein kreativer Kraftakt gewesen sein müssen. Sie haben ihn aber in ein grandios ziseliertes Kunstwerk gebannt. Zu Kunst gewordene Improvisation. Die bei allen (wie auch immer sie das gemacht haben) so verinnerlicht ist, dass dieses Brecht-Kriegenburg-Mimen-Gemisch nur so aus ihnen heraussprudelt.
Dass Meiningen derzeit über ein hochkarätiges Schauspiel-Ensemble verfügt, das keinen Vergleich auch mit mach einem größeren Haus scheuen muss, wusste man. Aber jeden einzelnen so zum Leuchten zu bringen und allesamt als Ganzes so reibungslos funktionieren zu lassen, dazu braucht es einen Meister seines Faches wie Andreas Kriegenburg.
Vivian Frey kriegt den besoffenen Menschelnden genauso überzeugend hin wie den nüchternen Fiesling. Hinreißend, wie Paul Maximilian Schulze seinen schlaksigen Matti dem einen wie dem anderen entgegenstellt. Oder, wie Gunnar Blume den Attaché als schleimigen Opportunisten mit Charly-Chaplin-Attitüde aussichtslos um Eva werben lässt. Grandios auch Pauline Gloger als auftrumpfend zupackende Eva, die zwar Matti mit Anlauf um den Hals, bei der Ehefrauen-Prüfung aber mit Karacho durchfällt.
Eine Show für sich ist Anja Lenßen, wenn sie als Köchin ihre bodenlangen Zöpfe nach den Männern auswirft und als Telefonistin zusammen mit Mia Antonia Dressler und Noemi Clerc (die auch noch die urkomische Pröpstin ist) das Bräutetrio komplettiert, das sich Puntila besoffen angelacht hat und nüchtern wieder los werden muss. Dank Erik Studte und Florian Graf sind auch Advokat und Probst kleine Kabinettstücke.
Freies Wort, Joachim Lange, 20.01.2025
Eben noch kicherte und schenkelklopfte sich das Publikum bei einer amüsanten, feucht-fröhlichen Sauftour in den Abend hinein. Puntila präsentierte sich dabei zwar offenkundig nur stark eingeschränkt zurechnungsfähig, stellte sich aber zugleich als liebenswerte Rampensau vor. Neben einem sympathischen Humor, der auch auf eigene Kosten funktionierte, bewies er im alkoholisierten Zustand überbordende Gefühlswelten.
Darüber hinaus war Kriegenburg offenbar auf der Suche nach einer neuen Grundform, in die er den Stoff gießen kann. Fündig wurde er bei der Commedia dell'Arte – einer Stilrichtung, die bewusst mit Archetypen und Überzeichnung arbeitet. In Kombination mit Andrea Schraads aufwendigen und beeindruckenden Kostümen entsteht eine sehr eigene Ästhetik: Die Frauen stecken in exzentrisch verschnittenen bunten Kleidern; die Männer werden von übergroßen Hosen und Jacketts verschluckt. Das minimalistische Bühnenbild aus schlichter Holzvertäfelung bildet zu dem wilden Farb- und Formenmix ein passendes Understatement.
Die traurigen Clowns machen dann, wozu sie verdammt sind: lustig sein! Egal, wie elendig alles um sie herum ist. Und so überbietet sich das Ensemble immer wieder selbst mit kreativen Wortwitzen und Slapstick-Nummern. Vivian Frey als Puntila liegt dabei vor allem das sprachliche Timing, die Spontaneität im Kontakt mit den Zuschauern. Paul Maximilian Schulze gelingt ein Matti, der keineswegs nur ein eindimensionales Proleten-Abziehbild ist. Vor allem mit seiner Körperlichkeit, seinem Gesichtsausdruck strahlt er ein Selbstbewusstsein aus, das auch Puntilas Schläge nicht kleinkriegen können.
Nachtkritik, Marlene Drexler, 18.01.2025